Bei Kriegsende befanden sich in ganz Europa Millionen von Menschen fern ihrer Heimat. Soldaten ebenso wie die Zivilisten. Familien auf der ganzen Welt bangten um Angehörige in Kriegsgefangenschaft. Verschleppung, Vertreibung, Evakuierung, Flucht und militärischer Rückzug führten Menschen ins Gebiet des heutigen Österreichs. Der Zusammenbruch des NS-Staats und seiner Institutionen sowie die Siege alliierter Armeen befreiten KZ-Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene. Vor dem Vormarsch der Roten Armee flüchteten (Volks)Deutsche, aber auch Ungarn, Balten, Ukrainer und andere.
In Jugoslawien hatte im Zweiten Weltkrieg ein blutrünstiger Bürgerkrieg im Krieg getobt. Nach dem Sieg der Tito-Partisanen waren neben Volksdeutschen, Kroaten, Serben, Montenegriner und Slowenen auf der Flucht Richtung Norden. Unter ihnen waren ehemalige Verbündete des Großdeutschen Reiches ebenso wie Gegner der deutschen Besatzung.
Für sowjetische Behörden galten Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen als Verräter. Es sind Fälle von sowjetischen KZ-Überlebenden bekannt, die direkt nach der Befreiung in sowjetische Haft kamen. Vielen ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen waren Stalins entsprechende Befehle bekannt. Ebenso frisch war die Erinnerung an den stalinistischen Terror.
Über eine Million Männer aus der Sowjetunion (Kaukasier, Kosaken, Ukrainer, Russen…) hatten als Soldaten auf deutscher Seite gekämpft. Die Motive waren vielfältig: Antikommunismus, die Sehnsucht nach Freiheit… Unter ihnen waren Antisemiten und Rechtsextremisten ebenso wie andere die einfach überleben wollten. Die Bedingungen für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion waren jämmerlich und erschreckend. Die „Freiwillig Meldung“ als Soldat auf deutscher Seite in einem Kosakenverband, in der Russischen Befreiungsarmee (ROA), einem kaukasischen Truppenverband…war in vielen Fälle eine Überlebensstrategie. Neben „echten“ Sowjetbürgern dienten als Soldaten und Offiziere in diesen Einheiten alte Emigranten und ihre Nachfahren. Sie waren häufig nach der Niederlage im Russischen Bürgerkrieg geflohen. In Städten wie Belgrad, Paris oder Prag gab es in der Zwischenkriegszeit eine lebendige russische Emigration mit eigenen Schulen, Kindergärten, Kirchen und Vereinen. Sie waren nie Staatsangehörige der Sowjetunion gewesen. Im Deutschen Reich sahen nicht wenige einen natürlichen Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus. In Serbien formierten russische Emigranten, Großteils Veteranen der zaristischen Armee, nach Partisanenüberfällen Selbstverteidigungsverbände. Einer dieser Verbände war das Russische Schutzkorps Serbien, das bald mit den Deutschen eng zusammenarbeitete. Angehörige dieser Einheit waren im Mai 1945 in Oberkärnten und Osttirol. Die Hoffnungen auf eine nationale Befreiung erfüllten sich nicht immer: Der Führer der ukrainischen Nationalisten und Stephan Bandera (1909-1959) war von 1941 bis 1944 in Konzentrationslagern inhaftiert. Andere ukrainische Nationalisten, aber nicht nur sie, standen im Holocaust als Helfer an deutscher Seite. Kaukasier und Kosaken waren nützliche Schachfiguren in einem blutigen und schmutzigen Krieg am Balkan.
Für alle die auf deutscher Seite gekämpft hatten war der Weg nach Hause verbaut und ihre Zukunft ungewiss. Staaten waren von der Landkarte verschwunden, Grenzen verschoben und Teil des kommunistischen Machtbereichs geworden. Viele Balten, Ukrainer aber auch Menschen aus Polen und Jugoslawien wollten daher nicht in ihre Heimatländer zurück. Die jüdischen Gemeinden in Osteuropa waren zerstört und die Mehrzahl ihrer Mitglieder ermordet. Der Antisemitismus war in Osteuropa nicht verschwunden. Zahlreiche Holocaust-Überlebende, die nach Polen zurückgekehrt waren, verließen das Land so schnell als möglich wieder. Sie zogen ein Displaced Persons Lager in Westdeutschland, Italien und Österreich der Angst und dem Hass in ihrer alten Heimat vor. Ihre Sehnsucht galt Eretz Israel, den USA und anderen Auswanderungsländern. Spanier, die im Mai 1945 von US-Truppen in Mauthausen befreit wurden, konnten als Anhänger der Republik und Gegners Franco nicht nach Spanien zurück. Ein nicht geringer Teil blieb in Österreich und arbeitete zum Teil als Vertragsarbeiter nach 1945 im Steinbruch von Mauthausen. Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb prägte für die befreiten spanischen und sowjetischen Häftlinge in Mauthausen den Begriff „doppelte Opfer“.
Die Alliierten hatten Vorbereitungen getroffen wie mit den Kriegsgefangenen, Lagerhäftlingen und ZwangsarbeiterInnen umgegangen werden sollte. Ziel war es die Staatsangehörigen möglichst schnell in ihre Heimat zurückzuführen. Kommissionen, Klassifizierungsstellen und Lager wurden eingerichtet.
Kategorien waren unter anderem:
Die Sowjetunion und die Westmächte hatten vereinbart geordnet und zügig für die Repatriierung ihrer eigenen und der Staatsbürger der Verbündeten zu sorgen. Die Westmächte bemühten sich um eine korrekte Einhaltung aller Vertragsbestimmungen. Während sowjetische Dienststellen die medizinische Behandlung und Lebensmittelversorgung von befreiten westalliierten Kriegsgefangenen oft vernachlässigten. Die Sowjetunion verzögerte die Rückkehr von Briten, Franzosen und Amerikanern. Ein französischer Zwangsarbeiter, der in Österreich von alliierten Truppen befreit wurde konnte in 17 (Befreiung durch US-Truppen) oder 117 Tagen (Befreiung durch die Rote Armee) zu Hause sein. Die Sowjetunion benutzte Briten, Kanadier, andere Commonwealth-Angehörige, Franzosen und Amerikaner in ihrer Hand als Faustpfand um unter dem Titel „Repatriierung“ auch Emigranten mit ausländischer Staatsbürgerschaft und mit Nansen-Pässe ausgeliefert zu bekommen.
Auch durch die Vereinbarungen gedeckte Repatriierungen in die Sowjetunion waren mit Gewalt und Zwang verbunden. Weil viele einfach nicht zurück wollten. Oft war der Zufall dafür auschlaggebend ob jemand später in Australien oder der Sowjetunion lebte. Einzelne couragierte Angehörige westalliierter Dienststellen konnten durch ihr Handeln Menschen vor der Zwangsauslieferung bewahren. Das Auseinanderfallen der Kriegskoalition, der aufziehende Kalte Krieg, Menschlichkeit, politische Interventionen und der mit der Zeit wachsende Unwillen amerikanischer und britischer Soldaten führten dazu, dass schließlich immer weniger Repatriierungen in die Sowjetunion und den Ostblock stattfanden.
In Lagern unter der Verwaltung der UNRRA und IRO warteten die Entwurzelten und Heimatlosen auf ihre Auswanderung. Mit Kommissionen und Untersuchungen, die zum Teil an Viehmärkte erinnerten, suchten sich die Aufnahmeländer die Einwanderer aus. Alte und Kranke hatten oft keine andere Chance als in Österreich oder Westdeutschland zu bleiben. Mit der illegalen Einwanderung nach Palästina der „Bricha“ nahmen jüdische Bewegungen und Displaced Persons ihr Schicksal in die eigene Hand. Eine der Routen führte über die Hohen Tauern.
In diesem Kontext sind die Lienzer Ereignisse von Mai und Juni 1945 eingebunden. Neben Zwangsrückkehr und Auslieferung war das Leben in Displaced Person Lagern und Auswanderung Schicksal einiger Kosaken. Neben Kosaken, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, waren auch befreite ZwangsarbeiterInnen und Flüchtlinge zum Lienzer Kosakenlager gestoßen. Angehörige britischer Hilfsorganisationen wie des British Red Cross und der Friends Ambulance Unit arbeiteten mit befreiten Kriegsgefangenen, ehemaligen ZwangsarbeiterInnen ebenso wie mit Flüchtlingen und ehemaligen deutschen Verbündeten. ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene gab es auch in Osttirol.
Goeken-Haidl, Ulrike, Der Weg zurück. Die Repatriierung sowjetischer Zwangsarbeiter während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Essen 2006: Klartext Verlag.
Zu polnischen, russischen und ukrainischen Displaced Persons
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